Stellungnahme des autismus Landesverband NRW e.V. zum Aktionsplan „NRW inklusiv“

Vorbemerkung:
Angesichts der Themenfülle und begrenzten personellen und zeitlichen Ressourcen hat sich der Autismus Landesverband NRW e.V. auf die Themenfelder „Bildung“ und „Partizipation“ beschränkt.

Zum Kapitel 5.2 Bildung und Ausbildung:
Generell ist kritisch anzumerken, dass die einzelnen Maßnahmen keine ganzheitliche Ausrichtung auf ein wirklich inklusives Schulsystem erkennen lassen. Auch wenn schulische Inklusion nur schrittweise realisiert werden kann, wäre es im Sinne der UN-BRK, mit Blick auf dieses Ziel von Anfang an darauf zu achten, dass unterwegs keine Schüler*innen aufgrund der Art ihrer Beeinträchtigung, aufgrund ihrer spezifischen Förderbedarfe oder aufgrund ihres Schulalters übergangen werden.

Dies ist leider nicht zu erkennen, was sich für Schüler*innen mit Autismus Spektrum Störungen besonders deutlich zeigt und auswirkt. Das hängt u.a. damit zusammen, dass diese Behinderung weder in das Regel-, noch in das Förderschulsystem „passt“, keinem der gesetzlich definierten Förderschwerpunkte zuzuordnen ist und auch die geplanten Maßnahmen die behinderungsspezifischen Aspekte nicht ausreichend berücksichtigen. Vielen Schüler*innen mit ASS bleibt so weiterhin ein Bildungsabschluss versagt, der ihren tatsächlichen Möglichkeiten entsprechen würde,

So sind im Aktionsplan keine individuellen, einzelfallbezogenen Lösungen vorgesehen, obwohl es viele Schulen gibt, die hierfür geeignet und aufgeschlossen wären.

Zudem widerspricht es dem Geist der UN-BRK, dass Gymnasien nicht in den Prozess des Gemeinsamen Lernens einbezogen werden. Schüler*innen wird vielfach der Besuch des Gymnasiums verwehrt, wenn oder sobald ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt ist, was die Chance einer erfolgreichen Schullaufbahn deutlich einschränkt und zudem eine Ungleichbehandlung ist in Bezug auf das sonst bestehende allgemein geltende Wahlrecht der Schulart.

Des Weiteren wird im Aktionsplan das Gemeinsame Lernen in der Sekundarstufe II ausgespart – eine Vernachlässigung aller davon betroffenen Schülerinnen und Schüler, die die Sek. 1 erfolgreich absolviert haben und einen höheren Abschluss anstreben.

Die für Regelschulen gebotene Inklusion sollte auch für das Förderschulsystem gelten. Um den Anforderungen eines insgesamt inklusiven Bildungssystems gerecht zu werden, sollten die Aufnahmekriterien der Förderschulen flexibilisiert werden. Es sollte bei geeignetem Förderschulprofil möglich sein, Schüler*innen mit abweichendem oder auch ohne Förderbedarf aufzunehmen („umgekehrte Inklusion“).

Zum Thema Schulassistenz ist aus gegebener Veranlassung zu betonen, dass diese als Eingliederungshilfe nicht dem Vergaberecht unterliegt. Da dies von einigen Städten und Landkreisen nicht beachtet wird, wäre eine Klarstellung durch Landesrecht angebracht (s. dazu auch die entsprechenden Bundestagsdrucksachen und Stellungnahmen des BAMS).

Kritisch sehen wir im Aktionsplan auch die Ausführungen zu den Studien- und Ausbildungsgängen der Lehrkräfte. Die Qualifizierung von Lehrkräften zum Gemeinsamen Lehren konzentriert sich im Aktionsplan zu einseitig auf die Sonderpädagogik. Wenn sich unser Bildungssystem inklusiv weiterentwickeln soll, muss grundsätzlich für alle Lehrkräfte aller Schulformen von Anfang an das Gemeinsame Lernen in den Studiengängen und Ausbildungen verbindlich verankert sein. Dies muss für die Studienplätze an den Hochschulen in NRW prozesshaft schon jetzt auf den Weg gebracht werden in gemeinsamer Planung von Schul- und Wissenschaftsministerium.

Zum Kapitel 5.8 – Politische und zivilgesellschaftliche Partizipation

Inklusionsbeirat
Im Inklusionsbeirat sollten Stimmrecht nur die Organisationen haben, die aufgrund ihrer spezifischen Aufgabenstellung die Interessen der Menschen mit Behinderung vertreten. Organisationen mit beratender Funktion (z.B. Städte- und Landkreistag) sollten kein eigenes Stimmrecht haben. Für Abstimmungen sollte die einfache Mehrheit gelten bei gleichzeitiger Zulassung von Minderheitsvoten.

Kommunale Mitwirkung
Die Gemeindeordnung sollte zulassen, dass in kommunalen Ausschüssen, (ähnlich wie z.B. im Jugendhilfeausschuss), Organisationen der Selbstvertretung mit Sitz und Stimme mitwirken.

Ehrenamtliches Engagement
Mit Blick auf die gewachsenen Kompetenzen der Selbsthilfe auf Landesebene (z.B. Anhörungen zu Gesetzesvorhaben, Stellungnahmen, Beteiligungen in Gremien usw.) benötigen ehrenamtlich ausgerichtete Landesverbände der Behindertenselbsthilfe Landeszuschüsse, um eine professionelle Beratung und Zuarbeit zu organisieren, die auch ihren behinderungsspezifischen Bedürfnissen gerecht wird.

Düsseldorf, im Januar 2022
Vorstand des Autismus Landesverband NRW e.V.