Informationen zum Entwurf der S3-Leitlinien für Autismustherapie

Liebe Eltern, Betreuer/innen und Menschen mit Autismus,

mit diesem Schreiben möchten wir Sie über erste Einblicke in die – noch in Entstehung befindlichen – S3-Leitlinien informieren.

Was sind S3-Leitlinien?

Es gibt zwei internationale Systeme, die die Diagnose ASS (Autismus-Spektrum-Störung) beschreiben. Das ist für den europäischen Bereich die ICD-10 und für den amerikanischen Bereich das DSM 5.

Neben diesen medizinischen Klassifikationen gibt es in Deutschland eine Organisation, die AWMF, die zur Diagnose und zur Therapie von ASS Empfehlungen herausgibt. Das sind die S3-Leitlinien. Die Empfehlungen werden an alle Ärzte, Kliniken, Kostenträger, Sozialgerichte, usw. weitergegeben. Sie sind keine Richtlinien, aber Empfehlungen.

Die S3-Leitlinien sind noch nicht fertiggestellt, aber auf einer wissenschaftlichen Fachtagung (WTAS 2019) sind einzelne Auszüge daraus schon vorgestellt worden. Diese Auszüge haben bei verschiedensten Fachleuten, die mit ASS zu tun haben, zu Irritationen und Unverständnis geführt und viele Fragen aufgeworfen.

Im Entwurf dieser S3-Leitlinien ist eine Formulierung enthalten, wonach für die Zielgruppe „Psychosozial – Schulkinder und Jugendliche mit Intelligenzminderung Einzeltherapie zur Förderung der sozialen Interaktion mit Gleichaltrigen nicht durchgeführt werden sollte.“ Vgl. E C.4.2.3 (K).

Zur Zielgruppe Schulkinder und Jugendliche mit und ohne Intelligenzminderung werden Aussagen getroffen, dass primär zeitlich begrenzte Gruppentherapien durchgeführt werden sollen.

In den Empfehlungen wird also für die Behandlung der Kernsymptomatik der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ab dem Schulalter ausschließlich eine zeitlich eng begrenzte Gruppentherapie empfohlen, nur im Ausnahmefall eine Einzeltherapie.

Aus Sicht des Landesverbands als Interessensvertreter der Menschen mit Autismus in NRW müssen passgenaue autismusspezifische Förderangebote (insbesondere auch Einzelförderung) für alle Menschen mit ASS grundsätzlich zugänglich sein, gerade für den Aufbau sozialer Kompetenzen. Die „autismusspezifische Fachleistung“, als explizite
Teilhabeleistung, wird im Rahmen der Eingliederungshilfe durchgeführt, deren Rechtsgrundlage das Bundesteilhabegesetz ist.

Die medizinisch ausgerichteten Aussagen in den S3-Leitlinien könnten jedoch nachteilige Auswirkungen für die betroffenen Menschen haben, wenn sich Behörden an den Empfehlungen orientieren.

Wir befürchten, dass Menschen mit ASS und ihre Eltern sowie Betreuer dadurch erhebliche Schwierigkeiten bei der Beantragung von adäquaten Hilfen zur gesetzlich vorgesehenen Teilhabe bekommen könnten. Dann wären gegebenenfalls rechtliche Schritte erforderlich.

Zunächst bleibt abzuwarten, was tatsächlich in dieser S3 Richtlinie beschlossen wird.

Dennoch sieht sich der Autismus Landesverband NRW schon jetzt verpflichtet, Sie über den aktuellen Sachstand zu unterrichten.

Bei Fragen wenden Sie sich gerne an uns.

Mit freundlichen Grüßen
Vorstand Autismus Landesverband NRW e.V.